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Die Chance einer Nutzung der kommenden Generation möglich machen: Das mehr als 4000 Meter tiefe Bohrloch «St.Gallen GT-1» wird noch nicht definitiv verschlossen

Die Chance einer Nutzung der kommenden Generation möglich machen: Das mehr als 4000 Meter tiefe Bohrloch «St.Gallen GT-1» wird noch nicht definitiv verschlossen

Am kommenden Dienstag befasst sich das St.Galler Stadtparlament noch einmal mit der Geothermie. Der Stadtrat erstattet Bericht zum Bohrloch im Sittertobel. Er möchte es noch nicht definitiv schliessen, nur «sicher verwahren». Dafür braucht es die Bewilligung des Kantons.

Mehrere Erdstösse in rund 4000 Meter Tiefe mit einer Magnitude von 3,6 im Juli 2013 setzten dem St.Galler Geothermieprojekt ein jähes Ende; das 160-Millionen-Vorhaben wurde 2014 abgebrochen. Die Gründe: unzureichende Thermalwasserfördermenge, erhöhtes seismisches Risiko, unerwarteter Gaseintritt ins 4450 Meter tiefe Bohrloch «St.Gallen GT-1».

Das steht in einem 20-seitigen Bericht, den der Stadtrat am kommenden Dienstag dem Stadtparlament vorlegen wird. Verfasst hatte er ihn, weil das Stadtparlament eine entsprechende Motion 2021 an ihn überwiesen hatte. Die Postulanten: Oskar Seger (FDP), Donat Kuratli und René Neuweiler (beide SVP). Sie verlangten vom Stadtrat eine Auslegeordnung, sodass über den künftigen Umgang mit dem Bohrloch entschieden werden kann.
Erstunterzeichner ist nicht mehr im Stadtparlament

Oskar Seger, Erstunterzeichner des Postulats und mittlerweile nicht mehr Mitglied des Stadtparlaments, sagt, ihm sei es darum gegangen, im Detail zu erfahren, was der Stadtrat und die Stadtwerke alles unternommen hätten, um das Bohrloch anderweitig wie ursprünglich vorgesehen für Geothermie zu nutzen.

Dem Vernehmen nach sei das internationale Interesse an «St.Gallen GT-1» gross gewesen. Seger, Kuratli und Neuweiler wollten verhindern, dass die Tiefbohrung definitiv verschlossen wird – «auch mit Blick auf kommende Generationen, die möglicherweise vom technischen Fortschritt in der Energieförderung profitieren könnten», wie es Bauingenieur Seger sagt. Der 33-Jährige politisiert mittlerweile für die Freisinnigen im Kantonsrat.

In seinem Postulatsbericht geht der Stadtrat ins Detail. Es seien verschiedene alternative Nutzungen geprüft worden, schreibt er. Unter anderem die Erschliessung und Förderung des im Verlauf der Bohrung erschlossenen Gasvolumens. Die technische und rechtliche Machbarkeit einer Gasförderung und Gasnutzung über die bestehende Tiefbohrung sei grundsätzlich gegeben, heisst es. Die Wirtschaftlichkeit für eine langfristige Gasproduktion sei indes direkt abhängig von der Gasförderrate und dem förderbaren Gasvolumen. Abschätzungen gingen davon aus, dass ein förderbares Gasvolumen von mehr als zehn Millionen Normkubikmetern in St.Gallen unwahrscheinlich sei.

Aus energiepolitischer und wirtschaftlicher Sicht sei die Erdgasförderung nicht weiterverfolgt worden, da es sich bei Erdgas trotz seines Status als wichtiger Brückenenergieträger für die Energiewende nicht um eine nachhaltige, erneuerbare und CO2-neutrale Ressource handle. Zudem seien die Projektrisiken als hoch bis sehr hoch eingestuft worden. Gespräche mit Gasexplorationsfirmen seien ergebnislos geblieben.

Auch eine tiefe Erdwärmesonde ist keine Alternative

Vertieft geprüft haben der Stadtrat und die Stadtwerke gemäss Postulatsbericht auch eine tiefe Erdwärmesonde. Dies sei 2017 geschehen. Die technische Machbarkeit sei zwar gegeben. Als technisch einfach und risikoarm machbar wurde eine Tiefenerdwärmsonde mit 95 Grad Vorlauftemperatur und Einleitung ins Fernwärmenetz identifiziert.

So könnten gemäss Bericht 3,3 Gigawattstunden Jahreswärmeabgabe eingespeist werden. Das Problem: Im Sommer wird die Wärme nicht gebraucht. Eine Nutzung der Tiefenerdwärmesonde als saisonaler Wärmespeicher sei nicht sinnvoll, heisst es. Der Grund: Nach Abstellen der Sonde würde sich diese binnen weniger Monate thermisch regenerieren. Aus Gründen der Wirtschaftlichkeit sei auch dieses Projekt sistiert worden.

Wissenschaftliche Nutzung des Bohrlochs «St.Gallen GT-1»

Gemäss Stadtrat wird das Bohrloch im Sittertobel gegenwärtig noch wissenschaftlich genutzt. Dies sei vertraglich fixiert. Noch aktiv sind die Geo-Energie Suisse AG, der Schweizer Erdbebendienst, das Bundesamt für Landestopografie sowie Universitäten in Zürich (ETH), Genf und London.

Der Stadtrat kommt zu folgendem Fazit: Verschiedene denkbare alternative Nutzungen für die Bohrung wurden durch die Stadtwerke und externe Ideengeber diskutiert und geprüft. Eine alternative, wirtschaftlich attraktive und nachhaltige Nutzung der bestehenden Bohrung anstelle der angestrebten Geothermie konnte jedoch trotz aktiver Einbindung der Wissenschaft und der Beteiligung an nationalen und internationalen Forschungsvorhaben nicht gefunden werden.

Bis anhin wurden technische Varianten wie Gasexploration, CO2-Geothermie, CO2-Speicherung oder CCS (Carbon, Capture and Storage) aufgrund hoher Risiken oder Kosten und fehlender Projektpartner nicht vertieft geprüft. Demnach konnte bisher auch kein konkreter Projektvorschlag für eine alternative Nutzung der Bohrung vorgelegt werden, wie der Stadtrat schreibt. Die Stadtwerke blieben aber offen für neue Ideen und Konzepte für eine dauerhafte alternative Nutzung der Bohrung; allfällige Anfragen würden individuell geprüft, heisst es.

Derzeit sei es möglich, die Bohrung im aktuellen, provisorisch-verschlossenen, ungenutzten Zustand als stillstehende Baustelle zu belassen. Die aktuelle Bewilligung laufe im Jahr 2029 aus, berichtet der Stadtrat. Die Kostenfolgen des Status quo seien relativ bescheiden und die dafür erforderlichen finanziellen Mittel seien vom Stadtparlament bereitgestellt worden. Bergbautechnisch spreche man hier von einer «Sicheren Verwahrung» der Bohrung. Ob der Kanton St.Gallen grundsätzlich bereit sei, eine erneute Verlängerung der bestehenden Bau- und Bohrbewilligung zu erteilen, werde zeitnah geklärt, so der Stadtrat.

Er teilt grundsätzlich die Haltung der Postulanten, dass die Möglichkeit der Nutzung des Bohrlochs einer kommenden Generation offengehalten werden soll. Die Langzeitkonservierung liesse diesen Spielraum offen.

Rund 40 Millionen Franken abgeschrieben

Der Stadtrat habe seine Aufgabe gemacht und einen umfassenden Postulatsbericht erstellt, sagt Seger. Er begrüsse es, dass der Stadtrat sich die Optionen für künftige Nutzungen des Bohrlochs offenlässt und dieses noch nicht verschliesst. «Die Technologien sind im Wandel und an den Nutzungen von Tiefenbohrungen wird global stark geforscht», sagt Seger.

Hier gelte es, sich für die Zukunft nichts zu verbauen oder in diesem Fall sich nichts zu verschliessen. Der Stadtrat zeige auf, dass er seit dem letzten Postulatsbericht 2016 sehr viele Abklärungen getätigt und diese auch ausgewertet habe. Diese Form der Berichterstattung sei begrüssenswert. Der vorliegende Postulatsbericht bildet nun eine gute Basis für die Zukunft.

Der Stadtrat sieht vor, die definitive Schliessung des Bohrlochs «St.Gallen GT-1» in der Legislatur 2025–2028 zu prüfen. Im November 2010 hatten die Stimmberechtigten der Stadt St.Gallen für das Geothermieprojekt einen Kredit über knapp 160 Millionen Franken mit fast 83 Prozent Ja-Stimmen gutgeheissen. Nach dem Ende des Projekts musste die Stadt St.Gallen rund 40 Millionen Franken abschreiben. Das St.Galler Geothermieprojekt fand in der Schweiz und international Beachtung.

Beitrag aus Tagblatt

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