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«Ein sehr seltsames Zeichen an die Bevölkerung» oder «es tut den Leuten gut»: So reagieren St.Galler Parteien auf den «Aller Stern»-Entscheid des Stadtrats

«Ein sehr seltsames Zeichen an die Bevölkerung» oder «es tut den Leuten gut»: So reagieren St.Galler Parteien auf den «Aller Stern»-Entscheid des Stadtrats

St.Gallen hängt als einzige grössere Stadt der Schweiz ihre Weihnachtsbeleuchtung auf wie gewohnt. In der Stadtpolitik haben die meisten Parteien dafür nur wenig Verständnis.

Bis vor wenigen Wochen war sie nur eine Weihnachtsbeleuchtung, jetzt ist «Aller Stern» zum Spielball der Energiemangellage geworden. Zwar verbraucht sie mit rund 12'000 Kilowattstunden nur gerade so viel Strom, wie etwa vier durchschnittliche Vier-Personen-Haushalte im Jahr. Doch die buchstäbliche Strahlkraft ist grösser.

Dabei hatte der Stadtrat einen bunten Strauss an Massnahmen präsentiert, wie in der Verwaltung Energie gespart werden soll: Reduktion der Heiztemperatur in Büros, Schulen und Sportanlagen; Verzicht auf Beleuchtung von historischen Fassaden; Spardüsen an Wasserhähnen und so weiter und so fort. Dass das im Schatten des «Aller Stern»-Entscheids zur Randnotiz wurde, ist kein Zufall. Es geht um Zeichen.

Das führt nicht nur in der Bevölkerung und im städtischen Gewerbe zu kontroversen Reaktionen, auch die St.Galler Stadtparteien haben sich kritisch mit den stadträtlichen Massnahmen zum Energiesparen auseinandergesetzt.

SP: «Der Stadtrat hat noch Zeit, sich umzuentscheiden»

Peter Olibet, Co-Präsident der SP Stadt St.Gallen, schreibt auf Anfrage: «Es ist richtig und wichtig, dass sich der Stadtrat damit beschäftigt, wie in der Stadt St.Gallen Energie gespart werden kann.» Es sei auch gut, dass die Stadt dabei mit gutem Beispiel vorangehe. «Nun sind auch Privathaushalte, Gewerbe und Industrie gefragt, möglichst griffige Energiesparmassnahmen umzusetzen.»

Weniger begeistert zeigt sich Olibet vom Entscheid, die Weihnachtsbeleuchtung im gewohnten Rahmen aufzuhängen. «Der Stadtrat sendet ein sehr seltsames Zeichen an die Bevölkerung, wenn er einerseits zum Energiesparen aufruft und andererseits an der Weihnachtsbeleuchtung festhält.» Da es erst September sei, habe der Stadtrat aber noch Zeit, in dieser Frage über die Bücher zu gehen und mit dem Ausschalten der Weihnachtsbeleuchtung ein klares Signal zu setzen nach dem Motto: «Ja, wir meinen es ernst!»

Olibet hält weiter fest, dass der Stadtrat nicht die Möglichkeit hat, Privaten und Gewerbe irgendwelche Vorschriften zu machen. Der Aufruf an diese Energiekunden, etwa möglichst auf Beleuchtung von Schaufenstern ausserhalb der Öffnungszeiten zu verzichten, sei entsprechend die richtige Massnahme. «Der Stadtrat sollte jedoch in Zukunft bei grossen privaten oder öffentlichen Anlässen, die sehr viel Energie verbrauchen, auf eine Bewilligung verzichten», sagt der SP-Co-Präsident.

FDP: «Ein fragwürdiger Entscheid»

FDP-Stadtparteipräsident Oskar Seger sagt, die stadträtlichen Massnahmen zum Energiesparen weichen nicht grossartig ab von den nationalen Empfehlungen. «Wir ziehen am gleichen Strick.» Seger appelliert an die Eigenverantwortung aller, um die Krise zu bewältigen. «Jede und jeder muss selbst handeln. Natürlich auch die Stadt St.Gallen.»

Zum «Aller Stern»-Entscheid sagt Seger: «Bei allem Schönen und Besinnlichen, das die Weihnachtsbeleuchtung mit sich bringt, erscheint mir dieser Beschluss fragwürdig.» Der Stadtrat erwecke den Eindruck, als stehe die Beleuchtung übergeordnet über den Massnahmen. Das sei inkonsequent, denn auch die Stadt müsse eigenverantwortlich handeln, gerade wenn sie diese Verantwortung auch von Privaten einfordern möchte. «Entsprechend sind wir skeptisch.»

Die Mitte: «Verständnis für Begründung, aber es bleiben Fragezeichen»

Ivo Liechti, Präsident von Die Mitte Stadt St.Gallen, bezeichnet die Massnahmen des Stadtrats als «grundsätzlich nachvollziehbar». Alle müssten sich in diesem Winter einschränken, entsprechend unterstütze Die Mitte den Effort der Stadt.

Auch der Haltung des Stadtrats, wonach die Weihnachtsbeleuchtung nach zwei Coronajahren für die Bevölkerung wichtig sei, begegnet Liechti mit Verständnis. Aber: «Ich finde es persönlich schwierig, sie im gewohnten Rahmen leuchten zu lassen.» Zumindest eine Reduktion der Beleuchtungszeit hätte er erwartet, sagt Liechti. Aber er geht noch weiter und sagt: «Ich hätte vollständig darauf verzichtet.» Der Weihnachtsgedanke könne auch ohne Weihnachtsbeleuchtung gelebt werden. In seiner Partei gebe es aber auch andere Stimmen, gibt Liechti zu Protokoll.

Die Beschlüsse des Stadtrats von vergangener Woche beantworten auch die Einfache Anfrage von Mitte-Stadtparlamentarier Beat Rütsche. Er hatte sich nach Massnahmen gegen eine drohende Energiemangellage erkundigt. Rütsche reagiert «sehr zufrieden» auf das stadträtliche Massnahmenpaket. Er schreibt: «Persönlich hoffe ich, dass die Bewohner und Unternehmen unserer Stadt die nun zahlreich vorliegenden konkreten Ideen auch bei sich umsetzen, sodass wir ohne negative Überraschungen durch den Winter kommen.»

GLP: «Entscheid ist vertretbar»

Die Grünliberalen unterstützen die Massnahmen des Stadtrats zum Energiesparen, schreibt Fraktionspräsidentin Jacqueline Gasser-Beck auf Anfrage. «Auch wir sind der Meinung, dass der Betrieb der sehr energieeffizienten Weihnachtsbeleuchtung in Anbetracht der Entbehrungen von Bürgerinnen und Bürgern in den vergangenen zwei Jahren vertretbar ist.»

Sie würde es aber begrüssen, wenn die Beleuchtungsdauer eingeschränkt würde. Die Grünliberalen wünschen sich über den Appell ans Gewerbe hinaus eine «Sensibilisierung der gesamten Stadtbevölkerung» – gerade bezüglich Stromfressern wie Heizpilzen oder Standheizungen.

SVP: «Weihnachtsbeleuchtung tut den Leuten gut»

Dass die Weihnachtsbeleuchtung auch 2022 die Gassen der Altstadt erhellt, freut SVP-Präsident Donat Kuratli. «Das ist wichtig für die Bevölkerung, gerade nach diesen zwei schwierigen Jahren.» Die 700 LED-Sterne fördern laut Kuratli das Zugehörigkeitsgefühl. «Es tut den Leuten gut.» Ausserdem sei der Stromverbrauch der Weihnachtsbeleuchtung vergleichsweise gering.

Was hält Kuratli von der Erwartung des Stadtrats, dass man privat im Gegenzug auf Weihnachtsbeleuchtung verzichten solle? Es ist ganz klar: «Was in den eigenen vier Wänden vor sich geht, geht den Staat nichts an.» Wenn also jemandem seine Beleuchtung wichtig sei, dürfe er diese auch aufhängen. Wichtig sei dennoch, dass alle ihren Beitrag eigenverantwortlich leisten, damit man gut durch den Winter komme. «Wer Weihnachtsbeleuchtung aufhängt, spart dafür vielleicht andernorts.»

Den generellen Energiesparkurs des Stadtrats trägt Kuratli mit – etwa den Verzicht auf Fassadenbeleuchtungen. Es sei gut, dass die öffentliche Hand ihre Möglichkeiten zum Energiesparen ausschöpfe. Und Unternehmen sollen selbst entscheiden, wie sie ihren Energiekonsum reduzieren wollen. «Einige haben ja bereits vor Bekanntgabe der Massnahmen des Stadtrats bereits gehandelt.»

Grüne: «Hätten vom Stadtrat mehr Fingerspitzengefühl erwartet»

«Die Grünen unterstützen die Bemühungen des Stadtrats, in und an öffentlichen Gebäuden konkrete Energiesparmassnahmen durchzusetzen», schreibt Christian Huber, Präsident der Grünen Stadt St.Gallen, auf Anfrage. Nicht erst die aktuelle Energiemangellage, sondern auch die langfristigen Auswirkungen des Klimawandels und jene der Biodiversitätskrise würden von der gesamten Gesellschaft Verhaltensänderungen verlangen. «Es ist daher positiv, dass die Stadt als gutes Vorbild vorausgeht und unnötigen Energie- und Stromverbrauch reduziert.»

Das Potenzial sei enorm, schreibt Huber. Entsprechend halte er denn auch eine dauerhafte Reduktion aller künstlichen Lichtquellen auf Stadtgebiet für angebracht – sei es öffentliches, kommerzielles oder privates Licht. Bereits im vergangenen Juli hat die Fraktion der Grünen und Jungen Grünen im Stadtparlament eine entsprechende Motion eingereicht, auch ein Postulat von zwei Grünen Parlamentsmitgliedern zur Stromtarifierung ist noch hängig.

Zum «Aller Stern»-Entscheid schreibt Huber: Es ist unbestritten, dass Licht für viele Menschen in der dunklen Jahreszeit eine wichtige Stütze darstellt. «Trotzdem hätten wir es als Signal an die Bevölkerung und die Privatwirtschaft sinnvoll gefunden, wenn die Stadt in diesem Jahr auf die Weihnachtsbeleuchtung verzichtet hätte.» Allerdings, so Huber, gingen die Möglichkeiten zum Energiesparen «weit über die aktuelle symbolische Debatte über Pro und Contra einer Weihnachtsbeleuchtung hinaus».

Klar sei, dass ein Verzichtaufruf an Private, ohne selbst ein sichtbares symbolisches Zeichen zu setzen, wenig glaubwürdig sei. «Wir hätten vom Stadtrat bei diesem Entscheid mehr Fingerspitzengefühl erwartet.»

Erschienen im Tagblatt

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