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50 Franken auch für Arme? Im St.Galler Stadtparlament entbrennt ein Streit um die Feuerwehrabgabe

50 Franken auch für Arme? Im St.Galler Stadtparlament entbrennt ein Streit um die Feuerwehrabgabe

Die Wogen gingen am Dienstag hoch, als im St. Galler Stadtparlament die Totalrevision des städtischen Feuerschutzreglements behandelt wurde. Der Stadtrat muss die Vorlage nun im Eilzugstempo überarbeiten.

Daniel Kehl baut sich schon fast martialisch vor dem Mikrofon auf. Es gehe um Würde, um eine Gewissensfrage. Man könne die Armen nicht mit der Abgabe schröpfen. Das sei unsozial, stossend und nötigenfalls verlange er das Ratsreferendum und somit einen Volksentscheid. «Ich werde nicht nachgeben», schliesst Kehl sein Votum.

Schauplatz ist die Olma-Halle 2.1, wo das Stadtparlament am Dienstagabend coronabedingt tagt. Was den Präsidenten der SP/Juso/PFG-Fraktion dermassen aufwühlt, ist das Traktandum, das nach 20 Uhr an die Reihe kommt. Totalrevision Feuerschutzreglement. Auf den ersten Blick reine Formalität: Der Kanton revidiert das Feuerschutzgesetz, die Kommune zieht nach.

Doch es kommt anders. Noch bevor Kehl ans Mikrofon tritt, bricht im Saal eine hitzige Diskussion Bann.
Wer keinen Feuerwehrdienst leistet, bezahlt pro Jahr zwischen 50 und 700 Franken

Das bisherige Feuerschutzgesetz stammt aus dem Jahr 1968. Anfang dieses Jahres hat der Kanton St. Gallen das Gesetz überarbeitet. Am 1. Januar 2021 tritt es in Kraft. Bis dahin sollen auch die Gemeinden ihre Gesetze anpassen.

Der Kanton gibt ihnen mehr Spielraum: So will der St. Galler Stadtrat in der Vorlage ans Parlament etwa die Feuerwehrkommission aufheben. Deren Aufgaben sollen neu die Dienststelle Feuerwehr und Zivilschutz St. Gallen, die Direktion Soziales und Sicherheit sowie die Direktion Planung und Bau übernehmen. Dieses Vorhaben ist im Parlament unbestritten.
Zankapfel ist das Geld

Streit gibt es ums Geld: Wer keinen Dienst in der Feuerwehr tut – und das ist ein Grossteil der Bevölkerung –, bezahlt zwischen dem 20. und 50. Lebensjahr jährlich eine Ersatzabgabe. Der Kanton sieht dafür im revidierten Gesetz einen Betrag zwischen 50 und 700 Franken vor – je nach der Höhe des Einkommens.

Der Stadtrat will nun seinerseits das kommunale Gesetz anpassen. In der Vorlage steht: Der bisherige Mindestbetrag muss deshalb von 30 auf 50 Franken erhöht werden. Und dieser soll in Zukunft neu von allen ersatzabgabepflichtigen Personen erhoben werden. Also auch von Stadtbewohnern, die über wenig oder gar kein Einkommen verfügen.

Linke sträuben sich gegen die «unfaire» Abgabe

Die Linke ist erbost darüber: Die SP/Juso/PFG-Fraktion sei nicht per se gegen die Mindestersatzabgabe von 50 Franken. Aber sie sträube sich dagegen, wenn auch Menschen mit einem geringen oder ohne steuerbares Einkommen besteuert werden. Fraktionssprecherin Maja Dörig sagt:

«Das ist nicht fair, nicht korrekt und unserem Stadtparlament nicht würdig.»

Deshalb beantragt sie die Rückweisung an den Stadtrat. Der solle weitere Abklärungen in Bezug auf die untere als auch die obere Grenze der Abgabe an die Hand nehmen. Nach oben deshalb, weil der Stadtrat in der Vorlage einen Maximalbetrag von 500 Franken nennt. Laut kantonalem Gesetzgeber sind bis zu 700 Franken möglich.

Bürgerliche halten dagegen

Nun gehen die Wogen der Voten hin und her, von Links nach Rechts. Zwar stört sich auch Daniel Bertoldo namens der CVP/EVP-Fraktion an der Ersatzabgabe. Der Stadtrat solle aber so schnell wie möglich, am besten Anfang 2021, eine separate Vorlage zur Feuerwehrersatzabgabe präsentieren. Darin solle auch der Rahmen der Maximalabgabe voll ausgeschöpft werden.

Die SVP-Fraktion, vertreten durch Karin Winter-Dubs, stimme der stadträtlichen Vorlage im Prinzip zu. Allerdings erwarte auch ihre Fraktion rasch einen Vorschlag zur Ersatzabgabe mit verschiedenen Optionen. Den Rückweisungsantrag der SP/Juso/PFG-Fraktion unterstütze die SVP nicht – «obwohl dieser im Grundsatz nachvollziehbar ist».

Oskar Seger ergreift das Wort für die FDP. Seine Fraktion unterstütze die Revision. «Sie ist gelungen, den Umständen entsprechend ausgewogen und zielführend», sagt Seger, der auch Offizier in der Milizfeuerwehr St. Gallen ist. Gegenüber dem Kanton stehe die Stadt unter Zugzwang und müsse deshalb alle ihre Möglichkeiten ausschöpfen.

«Andernfalls könnte dies als schlechtes Zeichen anerkannt werden und künftige Verhandlungen über Subventionierungsbeiträge durch den Kanton gefährden.»

Die Abgabe sei wichtig. Alle Bürgerinnen und Bürger sollen ihren Beitrag leisten. Bei Härtefällen fände sich innerhalb der Direktion Soziales und Sicherheit sicherlich Lösungen, ist Seger überzeugt.

Grünliberale wollen der Vorlage widerwillig zustimmen

Ganz anders sieht das Adrian Hilber von der Fraktion der Grünen und Jungen Grünen. Die Feuerwehrersatzabgabe künftig von allen Stadtbewohnerinnen und -bewohnern einzutreiben, «möchten wir nicht». Es soll nicht sein, dass die Ersatzabgabe von der knappen Sozialhilfe bezahlt werden müsse. «Und wenn Sie jetzt denken, ach, 50 Franken, das ist ja nicht viel.»

«Dann gratuliere ich Ihnen, dann sind Sie nicht arm.»

Keine Rückendeckung erhält Hilber von den Grünliberalen. Nadine Niederhauser sagt, auch ihre Fraktion sehe die Abgabe kritisch. Doch die Rückweisung lehne man ab. In der Vorlage gehe es nicht primär um die Abgabe, diese könne man in Kürze in einer weiteren Vorlage umfassend betrachten. Deshalb wolle die GLP-Fraktion «widerwillig» dem Stadtrat zustimmen.
Stadträtin Sonja Lüthi verteidigt das Vorgehen

Stadträtin Sonja Lüthi wünscht das Wort. Sie plädiert für eine Annahme des Antrags und holt aus. «Der Stadtrat wäre gerne einen Mittelweg gegangen.» Leider sei es nicht möglich, dass man bei Personen ohne steuerbares Einkommen auf die Abgabe verzichte. Es gebe seitens Kanton nur zwei Möglichkeiten:

«Alle bezahlen oder niemand bezahlt.»

Die finanzielle Situation der Spezialfinanzierung sei aktuell angespannt, daher benötige man diese finanziellen Mittel. Die Gebäudeversicherungsanstalt (GVA) habe zudem den Auftrag, die Beträge an die Berufsfeuerwehren zu überprüfen. Ein Verzicht auf Ersatzabgaben wäre ein schwieriges Zeichen gegenüber der GVA und anderen Gemeinden. Die Diskussion müsse geführt werden, aber dafür müssten gewisse Parameter bekannt sein. Das etappenweise Vorgehen sei etwas unschön, aber pragmatisch und zum aktuellen Zeitpunkt sinnvoll.

Dann schreitet Sozialdemokrat Daniel Kehl aufgewühlt zum Mikrofon. Während den sozial Schwächeren eine neue Abgabe aufgebrummt werde, schöpfe man den Rahmen gegen oben nicht aus. Das sei nicht fair. Zudem sei stossend, dass das neue Reglement an der zweitletzten Sitzung dem Parlament vorgelegt werde und dann gesagt werde, man habe keine Zeit.
Stadt muss im Eilzugstempo über die Bücher

Ein Ordnungsantrag wird gestellt, die Sitzung für zehn Minuten unterbrochen. Hektik. Die Fraktionen stehen im Kreis, strecken die Köpfe zusammen. Mit Maske natürlich.

Die Sitzung dauert in diesem Moment bereits über viereinhalb Stunden. Was die Parlamentsmitglieder in dem Moment noch nicht wissen: Drei weitere Stunden kommen hinzu.

Dann stellt FDP-Fraktionspräsident Felix Keller im Namen aller Fraktionen den Rückweisungsantrag:

«Eine weitere Beratung des Reglements macht keinen Sinn. Es wäre falsch, jetzt fortzufahren.»

Die Kommission für Soziales und Sicherheit solle die Feuerwehrersatzabgabe an ihrer nächsten Sitzung diesen Donnerstag klären.

Die finanziellen Punkte soll der Stadtrat mit dem Kanton klären und das überarbeitete Reglement an der Budgetsitzung am 8. Dezember erneut dem Stadtparlament vorlegen. Genau 14 Tage Zeit bleiben dem Stadtrat damit. 57 Ratsmitglieder stimmen dem Rückweisungsantrag zu, zwei sind dagegen. Parlamentspräsident Beat Rütsche kommentiert: «Einen Rückweisungsantrag aller Fraktionen habe ich auch noch nie erlebt.» Dann geht die Sitzung weiter. Bis Mitternacht.

St. Galler Tagblatt

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