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Stille Helden und ein grosser Hangover: Bekannte Personen aus der Region St.Gallen blicken zurück

Stille Helden und ein grosser Hangover: Bekannte Personen aus der Region St.Gallen blicken zurück

Welcher Film passt zu meinem Jahr 2024? Das sagen sechs ausgewählte Persönlichkeiten aus Stadt und Region.

Oskar Seger, Präsident FDP Stadt St.Gallen: «Hangover» nach dem Wahldebakel

Er habe sich am Montag, 23. September, gefühlt wie im Film «Hangover» aus dem Jahr 2009, sagt FDP-Präsident Oskar Seger. In der US-amerikanischen Komödie feiern vier Freunde in Las Vegas ausschweifend einen Polterabend. Am Tag danach: Hangover, der grosse Kater.

Am 22. September dieses Jahres verkündete Andreas Vögeli, der Leiter des Stimmbüros der Stadt, die FDP habe bei den Wahlen ins Stadtparlament vier Sitze gewonnen. Eine Sensation! Die FDP feierte den Erfolg im Fonduebeizli, wie sich Seger erinnert. Am Tag danach dann das böse Erwachen, die Ernüchterung: Das Wahlergebnis ist falsch. Die FDP gewinnt nicht vier Sitze; sie verliert einen Sitz.

Wie in «Hangover» machte sich Seger am Tag nach der Party ans grosse Aufräumen. «Ich musste die Dinge in Ordnung bringen», sagt der FDP-Politiker. Er musste fünf Parteikolleginnen und -kollegen enttäuschen und ihnen mitteilen, sie seien nicht gewählt.

Basil Kehl von der St.Galler Band Dachs: «The Old Oak» – Musik in Krisen

Sein Jahr 2024 spiegle sich im Filmdrama «The Old Oak» wider, sagt Basil Kehl. Der Sänger der St.Galler Band Dachs habe sich in diesem Jahr mit Themen wie Gemeinschaft und Hoffnung beschäftigt – genauso wie der 2023 erschienene Film. In diesem ziehen syrische Flüchtlinge in leerstehende Häuser eines Quartiers im Nordosten Englands. Eine von ihnen freundet sich mit dem Wirt des titelgebenden Pubs an und sie verwandeln dieses in einen Treffpunkt, um die lokale Gemeinschaft zu fördern.

Auch Basil Kehl schätzt den Zusammenhalt inmitten der aktuellen weltpolitischen Turbulenzen. «Ich verspüre so viel Dankbarkeit für meine Freunde und mein wunderbares Umfeld in St.Gallen», sagt er. Besonders auch bei seinen Auftritten mit dem Gitarristen Peer Füglistaller fühle er sich sehr wohl und angekommen. «Dieses Jahr hat mir gezeigt, dass man auch in schwierigen Zeiten den Humor nicht verlieren sollte», sagt der Musiker.

Nora Häuptle, Fussballnationaltrainerin in Ghana: «Unbezwungen» in Afrika

Der Film «Invictus» beschreibe ihre Arbeit im vergangenen Jahr am besten, sagt Nora Häuptle. Die Hornerin trainiert seit zwei Jahren das Frauen-Fussballnationalteam in Ghana. Im Film, der auf einer wahren Begebenheit basiert, will Nelson Mandela als frisch gewählter Präsident Südafrikas die Apartheid in den Köpfen der Menschen überwinden und setzt sich zum Ziel, dass Südafrika 1995 die Rugby-Weltmeisterschaft im eigenen Land gewinnen soll.

«Dass Sport das Zusammengehörigkeitsgefühl stärken kann, ist in Afrika sehr gut spürbar», sagt Häuptle. Ende 2023 qualifizierte sich ihr Team für den Afrika-Cup 2025. «Wer den Film versteht, versteht auch, was es bedeutet, in Afrika zu arbeiten.» Man müsse sich mit gewissen Themen auseinandersetzen, seine Haltung dazu und seine Werte definieren. Der Film hat ein Happy End: «Dass sich der Kreis schliesst und alles aufgeht: Das erhoffe ich mir auch für uns am Afrika-Cup nächstes Jahr.»

Dario Aemisegger, Kulturveranstalter: «Hölde» – die Kraft der Leidenschaft

Der Ostschweizer Film «Hölde – die stillen Helden vom Säntis» sei eine grossartige Hommage an stille Helden und die Natur. Er hätte mit seinen grossartigen Naturaufnahmen einen Hollywood-Oscar verdient, sagt Dario Aemisegger. Damit würde er zur Riege der grossen Hollywood-Filme zählen. Dass daran gar nicht gedacht werde, stehe wiederum für die auch 2024 typische Ostschweizer Bescheidenheit, so der Kulturveranstalter, der unter anderem die Strandfestwochen in Rorschach initiiert hat.

Der Film zeige einerseits die Kraft der Leidenschaft und dass man mit Fleiss und Mut über sich hinauswachsen könne. Andererseits zeige er die mitunter tödliche Kraft der Natur und mit dem Säntis-Doppelmord von 1922 sinnlose und nicht nachvollziehbare Gewalt. Damit stehe der Film für das Jahr 2024 mit seinen vielen stillen Helden, der grossen Bedeutung von Natur, Wetter und Klima und dem sinnlosen Blutvergiessen in zahlreichen Kriegen.

Regine Rust, Geschäftsleiterin Stiftung Suchthilfe: «The Outrun» – Vögel statt Rausch

Die junge Biologin Rona flieht nach Jahren des Rauschs in London auf die schottischen Orkneyinseln, in ihre Heimat. Auf dem rauen Archipel wagt sie den Neuanfang – und beginnt für ihren Job den seltenen Wachtelkönig zu suchen. Dabei blitzen immer wieder Fragmente und Erinnerungen auf, an Partys, Alkohol und schliesslich den Absturz.

Nora Fingscheidts Film – bekannt für ihr Debut «Systemsprenger» – hat Regine Rust beeindruckt. Die Geschäftsleiterin der Stiftung Suchthilfe sagt: «In unserer Arbeit geht es ja immer um Sucht und Rausch.» 2024 sei ein Jahr der Gegensätze und Rückblenden gewesen. «Dinge, die mich an die Anfänge meiner Arbeit in der Suchtprävention vor 30 Jahren erinnerten», so Rust. Junge Menschen, die in die Sucht abrutschen. Mehr und mehr Kokain. Crack. Verwahrlosung. Diskriminierung von Süchtigen. «Trotz allem bin ich verhalten optimistisch. Wie auch der Film eine hoffnungsvolle Schlusspointe hat.»

Ruedi Blumer, Präsident VCS St.Gallen-Appenzell: «Automania» ist Teil des Abstimmungserfolgs

«Automania»-Regisseur Fabian Biasio ist überzeugter Velofahrer. Doch wenn er durch die Stadt radelt, erlebt er die Strassen als feindliches Terrain. Angst und Ärger kompensiert er mit grosszügiger Auslegung der Verkehrsregeln. Doch sobald der latente Autohasser selbst am Steuer sitzt, wird er zum leidenschaftlichen Autofahrer.

«Ich bin zwar nicht so dramatisch unterwegs wie Fabian im Film, aber wie er ein überzeugter Velofahrer, der sich dafür einsetzt, dass den Velofahrenden mehr Beachtung, Platz und Sicherheit gegeben wird», sagt Ruedi Blumer, Präsident VCS St.Gallen-Appenzell.

«Und auch ich war 2024 froh um mein kleines, altes Auto: Im Sommer beim Zügeln, im Herbst beim Aufstellen von Plakaten gegen den Autobahnausbau und die Erhöhung des Pendlerabzuges.» Am 14. November feierte «Automania» im Kinok Premiere und Blumer lernte Biasio kennen. «Zehn Tage später feierte ich mit grosser Genugtuung das Nein zum Autobahnausbau.»

Beitrag aus Tagblatt

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