Am 24. November befindet das Schweizer Stimmvolk über den Ausbau der Nationalstrassen. Der Entscheid ist wegweisend für die Zukunft der Schweizer Verkehrspolitik. Mit dem geplanten Bau der dritten Röhre durch den Rosenberg und dem Zubringer Güterbahnhof liegt eines der grössten Projekte in der Stadt St.Gallen.
Über die Vorlage diskutierten am Donnerstagabend am Tagblatt-Podium der St.Galler Mitte-Ständerat Benedikt Würth und FDP-Kantonsrat Oskar Seger mit der St.Galler Grünen-Nationalrätin Franziska Ryser sowie alt SP-Kantonsrat und Co-Präsident der VCS Sektion St.Gallen-Appenzell, Ruedi Blumer. Im Pfalzkeller stellten sie sich den Fragen von Tagblatt-Chefredaktor Stefan Schmid und Jürg Ackermann, stellvertretender Chefredaktor.
«Massvolle, keine masslose Vorlage»
Ryser griff die Vorlage gleich zu Beginn im Kern an. Sowohl gegen den Stau als auch gegen die Klimakrise müsse etwas getan werden. Nur: Der Ausbau der Autobahn bewirke das Gegenteil und zementiere die fossile Verkehrsinfrastruktur.
Würth ging in die Gegenoffensive. Bei der Vorlage handle es sich um eine grossteils unterirdische Engpassbeseitigung. Dass die Opposition von einem masslosen Ausbau spricht, sei «fake». Das Wachstum der Verkehrszahlen und der Bevölkerung sei eine Folge der wirtschaftlichen Prosperität. Deshalb handle es sich um eine massvolle und nicht eine masslose Vorlage.
Moderator Jürg Ackermann leitete mit Würths Argument zu Blumer über. «Sie haben die Flyer gegen den Ausbau verteilt. Verbreiten Sie Fake News?» Die Antwort: Die Strassen für rund fünf Milliarden Franken zu verbreitern, bringe nichts. «Es ist daneben, so viel Geld in Mehrverkehr zu investieren», sagte Blumer. Alleine der Unterhalt der Strassen koste jährlich 1,2 Milliarden Franken. Der Erhalt der Infrastruktur sei wichtig, der Ausbau falsch.
Seger wiederum unterstützte Würths Aussagen und warf den Gegnern der Vorlage vor, selbst keine Lösungen vorzuweisen. Als damals in den 1970er und 1980er-Jahren die Autobahnen gebaut wurden, hätten in der Schweiz noch 6 Millionen Menschen gelebt, nun steuere man auf die 10-Millionen-Schweiz zu. Da sei ein Ausbau nur sinnvoll.
Verkehrsverhalten hänge von Infrastruktur ab
Ryser konterte, dieses Denken sei veraltet, zumal die Kapazitäten in den vergangenen Jahrzehnten bereits ausgebaut worden seien. Es stimme, dass das Mobilitätsbedürfnis gestiegen sei. Wie die Menschen unterwegs seien, hänge jedoch von der Verkehrsinfrastruktur ab, die man ihnen zur Verfügung stelle. Das zeige sich in den städtischen Zentren.
80 Prozent des Verkehrs fänden auf den Strassen statt, obschon der ÖV ausgebaut wurde, sagte Würth. Zudem sollten ÖV und Strassenverkehr nicht gegeneinander ausgespielt werden. Letzteren aus ideologischen Gründen abzulehnen, sei nicht rational.
Es werde auf beiden Seiten ideologisch argumentiert, antwortete Blumer. Zudem seien auch andere Autobahnausbauprojekte in Planung. «Wenn zwei von neun Personen, die alleine in einem Auto auf der Autobahn fahren, auf den ÖV oder das Velo umsteigen, haben wir das Problem schon gelöst», sagte Blumer. Als Beweis dafür nannte er den Verkehrsrückgang im Rosenbergtunnel zur Zeit der Pandemie. Stichwort Homeoffice, ÖV-Angebote vonseiten Arbeitgebender oder Rushhour meiden.
Seger entgegnete, dass auch die ÖV-Angebote rege genutzt würden. «Ohne die dritte Rosenberg-Röhre haben wir den Verkehr aber in der Stadt und ein Riesenproblem, gerade während der Sanierung der Tunnels.»
Temporeduktion als Lösungsansatz
Moderator Stefan Schmid fragte Ryser, wo der Verkehr ohne dritte Röhre durchfahre. Blumer drängelte aber vor – «du kannst mich später ergänzen, Franziska» – herzhaftes Lachen aus dem Publikum.
Eine solche Sanierung könne gut verlaufen, wenn die Bevölkerung um Rücksicht gebeten werde. Sein Lösungsansatz: «Tempo 60 vor, in und nach dem Tunnel.»
Ryser schlägt besseren S-Bahn-Takt vor
Ryser wies darauf hin, dass die Sanierung des Fäsenstaubtunnels in Schaffhausen auch während des Betriebs bestens funktioniert habe. Parallel zum Autobahnausbau müsse zudem der S-Bahn-Takt nach Gossau oder St.Gallen West attraktiver gestaltet werden. «Wir hatten die Chance, einen Viertelstundentakt einzuführen», sagte die Nationalrätin. Sowohl Bund als auch Kanton hätten dies abgelehnt und den Strassenbau vorgezogen.
Eine Sanierung unter Betrieb sei in St.Gallen nicht möglich, ohne dass der Verkehr in die Stadt ausweiche, argumentierte Seger für die dritte Röhre. Alleine mit der S-Bahn liesse sich das nicht kompensieren. Würth brachte ein, dass die Bahnen bereits heute wegen der schieren Menge an Projekten im Verzug seien. Er bestreite nicht, dass sich das Verkehrsverhalten ändern liesse. Die Pandemie sei jedoch vorbei «und in einer modernen Welt kann man den Leuten die Mobilität nicht wegnehmen».
Ryser verwies auf das «eindrückliche Signal des Stadtparlaments», den Zubringer Güterbahnhof abzulehnen. Der Ausbau führe zu Mehrverkehr, der durch ÖV und Langsamverkehr aufgefangen werden müsse. Ansonsten würden breitere Strassen und mehr Baustellen in der Stadt nötig.
Ausbau sei für Güterverkehr essenziell
Danach diskutierten die Podiumsteilnehmenden über den Güterverkehr. Laut Würth ist der motorisierte Individualverkehr eine volkswirtschaftliche Notwendigkeit, zumal Güter nicht mit dem Velo transportiert werden könnten. Es folgte ein Schlagabtausch mit Blumer, der zeigte, wie lange die beiden schon gegeneinander politisieren.
Zu Würths Vorwurf, dass er die Mobilität des Einzelnen einschränken möchte, sagte Blumer, dass das nicht an Lastwagen, Beeinträchtigte oder Familien gerichtet sei, sondern an Einzelpersonen, die mit immer grösseren Autos auf die Strasse gingen.
Zum Schluss richtete sich Stefan Schmid mit der Frage, ob die kantonale Abstimmung zum Pendlerabzug nicht widersprüchlich sei und zu Mehrverkehr führe, an Seger. Dieser erwiderte, dass nur sehr wenige Leute davon profitieren würden. Zudem komme die Vorlage auch den ÖV-Fahrenden zugute, da auch das 1.-Klasse-GA angegeben werden könne. «Denen, die das vermögen, muss man kein Steuergeschenk machen», widersprach Blumer.
«Mehr Strassen führen nicht zu Mehrverkehr»
In der Fragerunde thematisierte das Publikum unter anderem die Deponien für den Bauschutt, intelligente und elektrische Mobilität, aber auch Konzepte wie das Mobility Pricing. Kurz vor Schluss ging noch ein Raunen – begleitet von Gelächter der Gegnerschaft – durch das Publikum. Grund dafür war Segers Aussage, dass «mehr Strassen nicht zu Mehrverkehr führen». So ganz schienen ihm nicht alle zu glauben. Er selbst nahm die Publikumsreaktion mit Humor entgegen.
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Am Donnerstag debattierten vier prominente Ostschweizer Polit-Stimmen über die richtungsweisende Abstimmung zum Ausbau der Nationalstrassen. Das Tagblatt-Podium im Pfalzkeller zeigte: Bei der Vorlage handelt es sich um ein höchst emotionales Thema.