Es ist ein Wechselbad der Gefühle. Gestern noch hat Oskar Seger, Präsident der städtischen FDP, gefeiert. Seine Partei ging mit einem Plus von vier Sitzen als Gewinnerin der Wahlen hervor. Die Überraschung war gross – auch beim Parteipräsidenten selbst.
Auf die Freude folgte der Schock. Am Montagabend herrschte Gewissheit: Das Blatt hat sich für die FDP gewendet – wegen eines Berechnungsfehlers der Stadt. Sie wechselt auf die Verliererseite und muss einen Sitzverlust in Kauf nehmen. Die vier Kandidaten, die gestern noch ihre Wahl feierten, dürfen sich nun doch nicht freuen. Sie sind nicht gewählt. Nadia Carobbio-Campi wurde gar abgewählt.
Entsprechend gross ist die Enttäuschung. Seger spricht von einer «Katastrophe». Die FDP habe einen engagierten Wahlkampf betrieben und viel investiert. Das habe sich nicht ausgezahlt. «Wenn das Ergebnis so stimmt, nehmen wir es natürlich zur Kenntnis.» Aber die FDP müsse es noch verkraften.
Seger bedauert die Wahlpanne bei der Stadt sehr: «So etwas darf nicht passieren. Das Vertrauen ins Stimmbüro leidet massiv.» Für ihn ist klar: «Kopf hoch, wir wollen weiterkämpfen.» Die bürgerliche Mehrheit, die sich gestern aufgrund der fehlerhaften Ergebnisse abzeichnete, ist geplatzt. Seger geht davon aus, dass sich in der Tagespolitik in der neuen Legislatur nicht viel ändern wird.
Genossinnen und Genossen holen das Feiern nach
Wer am Sonntagabend noch zu den Gewinnern zählte, gehört auf einmal zu den Verlierern. Und umgekehrt. Die Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten stehen am Montagabend Fahnen schwenkend und jubelnd vor dem St.Galler Rathaus. «Wir müssen das Feiern nachholen», sagt Peter Olibet, Co-Präsident der städtischen SP.
Ratlosigkeit und Enttäuschung vom Sonntagabend sind gewichen. Jetzt herrschen bei den Genossinnen und Genossen Freude und Erleichterung vor. Sie haben es geschafft, die Sitze der drei Bisherigen zu verteidigen, die nicht mehr zur Wahl angetreten sind. Auf die Wahlpanne angesprochen, sagt Olibet: «Ich bin froh, dass jetzt Klarheit herrscht.» Fehler sollten zwar nicht passieren, aber sie könnten passieren. Natürlich sei es bitter für jene, die es getroffen habe.
Ein Freudentag für die SVP
Deutlichere Worte wählt Donat Kuratli, Parteipräsident der städtischen SVP: «Eine solche Panne ist beschämend für die Stadt.» Er spricht von einer Katastrophe. Es sei schade, dass die bürgerliche Mehrheit durch den Sitzverlust der FDP nun doch geplatzt sei. Doch abgesehen davon: Für die SVP sei es ein Freudentag.
Die Partei hat nicht nur einen, sondern zwei Sitze dazugewonnen. Und ist damit zur zweitstärksten Partei aufgestiegen. Kuratli sagt: «Das haben wir in einer links-grün dominierten Stadt geschafft.» Er wertet es als Zeichen dafür, dass die geradlinige Politik der SVP und ihr kritisches Hinterfragen von der Wählerschaft geschätzt würden.
Die Mitte: Gleichermassen erstaunt und erleichtert
Ebenfalls glücklich ist Ivo Liechti, Parteipräsident der Mitte Stadt St.Gallen. Nach der korrigierten Berechnung kann sich seine Partei über einen Sitzgewinn freuen. Für Liechti bedeutet das: Ziel erreicht. Er zeigt sich erleichtert und wertet das Resultat als Zeichen dafür, dass die Wahlbevölkerung die geleistete politische Arbeit seiner Partei schätze.
Zugleich kann er sein Erstaunen darüber nicht verbergen, wie eine solche Wahlpanne passieren könne. Die hohe Zahl unveränderter Wahlzettel habe ihn schon am Sonntagabend stutzig gemacht. Liechti zieht einen Vergleich zum Fussball: Wenn es zu einer solchen Panne komme, sei es, als müsse man zuerst auf den Entscheid des Video Assistant Referee (VAR) warten. «Erst danach darf man sich freuen.»
Aktuell
«Beschämend», «unverständlich», «eine Katastrophe»: So äussern sich die Parteipräsidenten zur St.Galler Wahlpanne
Innerhalb von 24 Stunden wurden aus Gewinnern Verlierer – und umgekehrt. Schuld daran ist ein Berechnungsfehler bei der Auszählung der Wahlzettel, der im St.Galler Rathaus passiert ist. So ist die Gefühlslage bei den Parteipräsidenten.