«Uf Bsuech dihei» verheisst das Motto des Kantons St.Gallen zum eigenen Gastauftritt an der Olma in drei Wochen. Von einem wohligen Heimatgefühl in der Kantonshauptstadt war allerdings in der Kantonsratsdebatte zum verstärkten Finanzausgleich für die mit Zentrumsaufgaben überlastete Gallusstadt wenig zu spüren. Vielmehr dominierten auf Seiten der bürgerlichen Mehrheit Unbehagen, Misstrauen oder gar grundsätzliche Ablehnung gegenüber der grössten St.Galler Stadt, die seit 1943 die Ostschweizer Land- und Milchwirtschaftsausstellung ausrichtet.
«Was triggert die Bürgerlichen derart?», fragte Dario Sulzer, Fraktionschef SP-Grüne-GLP und als Wiler Stadtrat mit Zentrumslasten vertraut. Kopfschüttelnd stellte er eine «verkehrte Welt» fest, wenn seine Fraktion als einzige Fraktion die bürgerliche Regierung unterstütze, die eine zusätzliche Finanzspritze des Kantons nicht an zusätzliche Bedingungen knüpfen wollte.
SVP und FDP kritisieren «ausgabenfreudige» Stadtpolitik
Antworten auf Sulzers Frage lieferten SVP- und FDP-Vertreter allerdings zuhauf: «Die linke Ausgabenpolitik» der Hauptstadt müsse «endlich auf den Boden der Realität kommen», sagte SVP-Fraktionschef Sascha Schmid. Ins gleiche Horn blies Oskar Seger, Präsident der städtischen FDP, der die «Ausgabenfreudigkeit» von Stadtrat und Stadtparlament kritisierte. Als Beispiele nannte Seger die soeben beschlossenen 500’000 Franken Entwicklungshilfe im Ausland und 200’000 für die Anordnung von vier Begegnungszonen. Schmid erwähnte zusätzlich den 8 Millionen teuren Kreuzbleiche-Velotunnel und den geplanten «Prestigebau» der Stadt- und Kantonsbibliothek.
Tatsächlich ging es in der über zweistündigen Debatte zum alle vier Jahre vorgelegten Wirksamkeitsbericht über den kantonalen Finanzausgleich am Dienstag fast nur um den Sonderlastenausgleich der Hauptstadt. Der vertikale Ausgleich – also via Kanton und anders als fast alle andern Kantone nicht unter den Gemeinden (horizontal) - sei weiterhin richtig, befanden Regierung und bürgerliche Fraktionen. Einzig die SP betrachtete das Ausgleichsziel als «nicht erfüllt», zumal die Unterschiede zwischen ärmsten und reichsten Gemeinden erneut zugenommen hätten – von vor zehn Jahren 77 auf heute 89 Steuerprozente: «Kann das im Interesse der Kantonsbevölkerung sein?»
«Extrawurst» für die Stadt mit Auflagen knapp bewilligt
Kleinere Anpassungen blieben Nebenschauplatz, weil der Fokus ganz auf der Stadt St.Gallen und ihrer Forderung nach einem höheren Sonderlastenausgleich galt: Gemäss ihrer (Ecoplan)-Studie trägt sie 28 Millionen Franken Zentrumslasten und verbleiben nach Abzug des kantonalen Beitrags von 16 Millionen demnach 12 Millionen Franken ungedeckte Kosten. Die Regierung schlug deshalb einen auf vier Jahre beschränkten Zusatzausgleich von jährlich 3,7 Millionen vor. Dabei anerkannte sie die Sparanstrengungen der Stadt und verlangte, dass die Lastenverteilung bei den Kulturinstitutionen überprüft und die Zusammenarbeit zwischen Kantons- und Stadtpolizei verstärkt werde.
Diese «Extrawurst für die Hauptstadt» wollte die SVP nicht schlucken und zweifelte an der Studie, die den Zentrumsnutzen nicht eingerechnet habe. Allein die Millionen, wenn nicht Milliarden, die der Kanton mit seiner Verwaltung, staatsnahen Betrieben, Kultur- und Bildungseinrichtungen in die Stadt schaffe, seien nicht berücksichtigt worden, sagte Schmid.
Zwar scheiterte die SVP mit ihrem Streichungsantrag (knapp mit 52 zu 57 Stimmen). Jedoch nahm die FDP, die den zusätzlichen Ausgleich «zähneknirschend» akzeptierte, ihre Argumente auf und verlangte ein Gutachten zum Zentrumsnutzen. Er habe genug von der «defizitorientierten Opferhaltung» und der Suche nach «äusseren Schuldigen» seitens der Stadt, polterte Fraktionschef Christian Lippuner: «Jeder Mensch, der die Stadt betritt, ist eine Zentrumslast. Statt willkommene Gäste scheinen Auswärtige lästig zu sein.» Statt der «unsäglichen Lastendiskussion» solle man auf Chancen fokussieren. Den FDP-Antrag mochte aber niemand unterstützen, weil noch nicht einmal die anderen bürgerlichen Fraktionen ein weiteres Gutachten wollten.
Dafür fand der Antrag von SVP und Mitte eine Mehrheit, die weitere Erhöhungen neben der «einmaligen Vitaminspritze» (Mitte-Sprecherin Monika Scherrer) untersagt – weder in den kommenden vier Jahren noch in weiterer Zukunft. Zudem sollen die Zentrumsleistungen der Stadt gegenüber ausserkantonalen Gemeinden und Nachbarkantonen geltend gemacht und eine aus Sicht des Kantons kostenneutrale Zusammenlegung von Stadt- und Kantonspolizei geprüft werden.
Stadtpräsidentin wehrt sich gegen «pauschale Vorwürfe»
Am Ende blieb der Eindruck, dass die Hauptstadt einen härteren Stand hat als je zuvor und nur die linksgrüne Ratsminderheit diese als wirtschaftlichen und kulturellen Motor und zentralen Faktor für die Standortattraktivität eines vielfältigen Kantons fraglos stärken will, wie es SP-Regierungsrätin Laura Bucher formulierte. Verpufft waren besonnene Einwürfe wie jener Dario Sulzers (SP), dass gemäss dem Stadt-Land-Monitoring der landwirtschaftlichen Genossenschaft Fenaco (2021) «die Gräben in den Köpfen überwunden» werden müssten.
Und erst spät, derweil die verschobene Mittagspause drängte, wehrte sich SP-Stadtpräsidentin Maria Pappa gegen die «pauschalen Vorwürfe» gegenüber der Stadt, «statt Kanton und Stadt gemeinsam besser sichtbar zu machen». Das Verhältnis von Beschäftigten und Einwohnerschaft (112 auf 100, weit mehr als Luzern oder Winterthur) begründe die Zentrumskosten für Infrastruktur, Verkehr oder Sicherheit. «Und eine linksgerichtete Stadt sind wir erst seit wenigen Jahren», betonte Pappa.
Beherzt, aber eine Randnotiz war das Votum der Sarganserländerin Anita Wyss (Grüne), die an die Solidarität appellierte, die der Kantonsrat bei der finanziell unterstützten Abtretung des Spitals Walenstadt an Graubünden zeigte. Alle Gemeinden profitierten von Zentren, Sargans als Verkehrsknotenpunkt weniger von St.Gallen als von Chur, Glarus oder Zürich, es gehe um den «Zusammenhalt des Landes». Vielleicht doch ein Steilpass für die Olma – dort will Jascha Müller (EVP) den FDP-Chefpolterer Lippuner auf Wurst und Bier einladen, Stadtsanktgaller heisst Grabser willkommen.
Aktuell
«Jeder Mensch, der die Stadt betritt, ist eine Zentrumslast»: Kantonsrat greift belasteter Hauptstadt nur widerwillig unter die Arme
Zähneknirschend gewährt der Kantonsrat der Stadt St.Gallen eine temporäre Erhöhung des Zentrumslastenausgleichs von gesamthaft 14,8 Millionen Franken bis 2028.