Bei den Freisinnigen in der Stadt St.Gallen findet gerade so etwas wie ein Stabwechsel statt. Der ehemalige Stadtpräsident Thomas Scheitlin ist 2022 nach 18 Jahren aus dem Kantonsrat zurückgetreten. Arno Noger, der ehemalige Präsident der Ortsbürgergemeinde, trat ebenfalls 2022 aus der kantonalen Legislative zurück; er gehörte dem Kantonsrat 14 Jahre lang an.
Ende der laufenden Legislatur hört auch noch Walter Locher als Kantonsrat auf – nach 21 Jahren. Drei Routiniers haben jüngeren Freisinnigen Platz gemacht oder machen jüngeren Freisinnigen Platz.
Scheitlin, Noger und Locher. Sie sind politisch erfahren und einflussreich. Sie sind nach ihrem Rücktritt von politischen Mandaten auch nicht ganz weg vom Fenster. Im Gegenteil: Scheitlin ist nach wie vor Präsident der Olma-Messen, Noger ist nach wie vor Präsident des Stiftungsrats der Stiftung Ostschweizer Kinderspital, Locher ist nach wie vor Präsident des Hauseigentümerverbands (HEV) des Kantons St.Gallen mit seinen über 30'000 Mitgliedern und Kopf der Interessengemeinschaft (IG) Engpassbeseitigung.
Oskar Seger, Präsident der FDP der Stadt St.Gallen, bestätigt, dass ein Generationenwechsel stattfinde und es ein Vakuum gebe, das geschlossen werden müsse. Am 3. März finden die Kantonsratswahlen statt. Die FDP des Wahlkreises St.Gallen will ihre fünf Sitze verteidigen. Das wird nicht einfach: Bei den Wahlen vor vier Jahren holte Thomas Scheitlin auf der FDP-Liste mit 7243 am meisten Stimmen. Noger landete mit 6237 Stimmen auf dem zweiten Platz, Locher mit 5063 Stimmen auf dem fünften Platz.
Kurz: Die drei erfahrenen Freisinnigen holten 2020 ausserordentlich viele Stimmen. Ortsparteipräsident Seger, der seit 2021 im Kantonsrat politisiert, weiss das freilich. Er sagt gleichwohl, die freisinnigen Vertreterinnen und Vertreter der Stadt St.Gallen im Kantonsparlament, Isabel Schorer, Felix Keller und er selber, hätten gute Chancen, wiedergewählt zu werden. Die vierte Bisherige, die wieder antritt, ist Ruth Keller-Gätzi aus Wittenbach.
Bei den Stadtratswahlen ist für die FDP alles offen
Bis 2015 hatte die FDP zwei Sitze im St.Galler Stadtrat. Als Fredy Brunner seinen Rücktritt bekannt gegeben hatte, wollten die Freisinnigen seinen Sitz mit Stadtparlamentarierin Barbara Frei verteidigen. Sie unterlag aber 2014 in einer Ersatzwahl Peter Jans. Der Sozialdemokrat steht seit seiner Wahl in die Stadtregierung der Direktion Technische Betriebe vor.
Bei den Gesamterneuerungswahlen 2020 wollten die Freisinnigen das Stadtpräsidium verteidigen, das mit dem Rücktritt Thomas Scheitlins frei wurde. Sie nominierten Mathias Gabathuler fürs Stadtpräsidium und für den Stadtrat. In der Kampfwahl ums Stadtpräsidium unterlag Gabathuler im zweiten Wahlgang der Sozialdemokratin Maria Pappa.
Der politische Quereinsteiger wurde aber in den Stadtrat gewählt und steht seit 2021 der Direktion Bildung und Freizeit vor. Der ehemalige Rektor der Kantonsschule am Brühl hatte Krisen zu bewältigen, zum einen in der Coronapandemie, zum anderen wegen vieler Kündigungen im Lehrkörper. Von aussen betrachtet scheint es, Gabathuler behalte auch in schwierigen Situationen einen kühlen Kopf und er finde pragmatisch Lösungen. Es scheint auch, der 56-Jährige und Martin Annen, Leiter der Dienststelle Schule und Musik, seien ein gut eingespieltes Team und harmonierten.
Parteipräsident Seger lässt gegenwärtig offen, ob die FDP im September bei den Gesamterneuerungswahlen mit einer zweiten Kandidatur für den Stadtrat oder gar mit einer Kandidatin oder einem Kandidaten fürs Stadtpräsidium antreten wird. «Wir beobachten, was die anderen Parteien machen und ob es zu Rücktritten aus der Stadtregierung kommen wird», sagt Seger. Die FDP wolle sich im Moment alle Möglichkeiten offenhalten.
Zweitstärkste Kraft im Stadtparlament
In der laufenden Legislatur ist die FDP die zweitstärkste Kraft im Stadtparlament. Ihre Fraktion zählt elf Frauen und Männer; ein Mandat halten die Jungfreisinnigen. Remo Daguati, Oskar Seger und Felix Keller sind in der laufenden Legislatur in den Kantonsrat nachgerückt. Daguati und Seger traten in der Folge aus dem Stadtparlament zurück. Felix Keller, Präsident der FDP-Fraktion im Stadtparlament, werde bei den Wahlen im September hingegen wieder antreten, sagt Seger. «Er ist unser Zugpferd.»
Gemäss Seger steht ausser Zweifel, dass die FDP bei den Stadtparlamentswahlen mit einer vollen Liste antreten wird; das heisst, mit 32 Kandidierenden. Seger: «Wir sind breit aufgestellt.» Die Vorbereitungen seien am Laufen. «Unser Ziel ist es, Sitze im Stadtparlament zu gewinnen.»
Laut Seger gelingt es seiner Partei, junge Frauen und Männer für die Politik zu gewinnen. So könne das Vakuum, das Scheitlin, Noger und Locher gerade hinterliessen, nach und nach verringert werden.
Politische Schwerpunktthemen der FDP in der Stadt sind gemäss Seger der Autobahnanschluss Güterbahnhof, «den es braucht», und eine Beschleunigung der Entwicklung der Gebiete Bahnhof Nord, Ruckhalde und ASGO (St.Gallen West-Gossau Ost). Ein Dorn im Auge seiner Partei sei in Zusammenhang mit der Standortattraktivität und der Finanzlage der kontinuierliche Ausbau der städtischen Verwaltung. Er wünscht sich von der Verwaltung mehr Wirkung statt Selbstbeschäftigung. Er habe den Eindruck, sagt Seger, die Verwaltung bringe ihre PS nicht auf den Boden.
Aktuell
Generationenwechsel bei der FDP der Stadt St.Gallen: Rücktritte dreier Routiniers hinterlassen ein Vakuum – dennoch will der Freisinn Sitzgewinne im Stadtparlament
Thomas Scheitlin und Arno Noger sind 2022 aus dem St.Galler Kantonsrat zurückgetreten, Walter Locher geht Ende Amtsdauer. Dem Freisinn in der Stadt St.Gallen geht gerade viel Erfahrung verloren.