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Liberalisierung auf dem Buckel der Angestellten? Die Politik ist gespalten, was längere Öffnungszeiten in der St.Galler Innenstadt angeht

Liberalisierung auf dem Buckel der Angestellten? Die Politik ist gespalten, was längere Öffnungszeiten in der St.Galler Innenstadt angeht

In der TVO-Diskussionsrunde scheiden sich die Meinungen zu den Ladenöffnungszeiten in der St.Galler Innenstadt. Die flexibleren Geschäftszeiten fallen zulasten des Personals und schwächen die kleinen Geschäfte, sagt Andrea Scheck (SP). Oskar Seger (FDP) meint hingegen, dadurch werde die Stadt attraktiver.

Seit knapp zwei Jahren profitieren Geschäfte in der St.Galler Innenstadt von längeren Öffnungszeiten. Überraschend hatte der Stadtrat 2020 eine Liberalisierung innerhalb eines neu geschaffenen Tourismusperimeters eingeführt. Doch das zur Belebung der Innenstadt gedachte Mittel stiess schnell auf Widerstand von Seiten von Linken, Gewerkschaften und kirchlichen Kreisen.

Sie lancierten eine Initiative, um die Ausdehnung der Öffnungszeiten wieder rückgängig zu machen. Das Stadtparlament hiess statt der Initiative jedoch einen Gegenvorschlag gut. Weil das Initiativkomitee aber an seinem Begehren festhält, muss am 15. Mai nun das Stimmvolk der Stadt St.Gallen darüber befinden, ob es Ladenöffnungszeiten wochentags bis 20 Uhr, am Samstag bis 18 Uhr und die Möglichkeit für geöffnete Läden am Sonntag will oder nicht.
Sozialdemokratin: «Auf dem Buckel des Personals»

In der von «Tagblatt»-Chefredaktor Stefan Schmid moderierten Talkrunde «Zur Sache» auf TVO diskutierten am Mittwoch Mitinitiantin und Präsidentin der SP Kanton St.Gallen Andrea Scheck, Stadtpräsidentin Maria Pappa und FDP-Kantonsrat Oskar Seger das heisse Eisen.
Scheck wies darauf hin, dass die längeren Öffnungszeiten primär zu Lasten der Arbeitsbedingungen des Verkaufspersonals gehen. Dadurch leide deren Familien- und Sozialleben stark. Vereinsaktivitäten würden fast gänzlich verunmöglicht. «Die Liberalisierung geschieht auf dem Buckel der Detailhandelsangestellten.» Sie seien unzufrieden damit, wie etwa Umfragen im Kanton Thurgau zeigten, wo Läden bereits länger öffnen dürfen. «Und die Bevölkerung will das auch gar nicht, wie drei frühere Abstimmungen in St.Gallen gezeigt haben», so die Sozialdemokratin.

Stadtpräsidentin Maria Pappa entgegnete, mit den erweiterten Öffnungszeiten reagiere die Stadt auf den Ruf des Gewerbes. «Wir wollen die Möglichkeit geben, dass man sein Brot auch um 19.30 Uhr noch kaufen kann.» Das Stadtzentrum wirke zudem attraktiv durch geöffnete Läden. Oft höre sie, der Stadtrat agiere mutlos, sagte Pappa weiter. «Doch gerade hier haben wir den vom kantonalen Gesetz vorgegebenen Spielraum voll ausgenutzt.» Sie verstehe aber auch die Anliegen ihrer Parteikollegin, sagte die SP-Politikerin.
FDP-Kantonsrat: «Ein Kompromissvorschlag»
Der Freisinnige Oskar Seger verteidigte das Vorgehen des Stadtrats. Er erinnerte daran, dass die Öffnungszeiten Leitschranken darstellten. «Das sind die Rahmenbedingungen, worin die Ladenbesitzer ihre Öffnungszeiten flexibel gestalten können.» Es bestehe kein Zwang, länger zu öffnen. «Sie können sich nach den umsatzstarken Zeiten ausrichten.»Mit dem Gegenvorschlag liege nun ein Kompromiss auf dem Tisch, hinter dem das Gros des Gewerbes stehe und der mit diesem ausgehandelt worden sei. «Gute Einkaufsmöglichkeiten gehören zu einer weltoffenen, lebendigen Stadt», sagte Seger. Liberalere Öffnungszeiten würden zudem die Chance auf Teilzeitanstellungen erhöhen. Scheck widersprach: «Nur die Grossverteiler können sich längere Öffnungszeiten leisten.» Kleinere Geschäfte seien gar benachteiligt, das Ladensterben werde dadurch noch begünstigt statt verhindert. «Für eine lebendige Stadt braucht es ohnehin mehr als Konsum.» Es gelte vielmehr, den hohen Mietpreisen Einhalt zu gebieten.

Erschienen im Tagblatt

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